Direkt zur Hauptnavigation springen Direkt zum Inhalt springen

Geteilte Verantwortung für entwaldungsfreie Lieferketten

Was ist geteilte Verantwortung?

"Geteilte Verantwortung" ist keine Philanthropie, sondern eine strategische Entscheidung. Als Antwort auf immer komplexer werdende Herausforderungen an globale Lieferketten, sichert das Teilen von Verantwortung die Wertschöpfungskette holistisch gegen Risiken ab, die deren Stabilität bedrohen. Neben geänderten klimatischen Bedingungen, die die Anpassung von Produktionsmethoden und Anwendung resilienterer Maßnahmen erfordern, haben sich auch die Anforderungen seitens der EU und der Konsument*innen an Nachhaltigkeit, Rückverfolgbarkeit und ethische Produktion und Anbau gewandelt. 

Um dieser Nachfrage gerecht zu werden, sollten Importeure und Auf-den-Markt-Bringer die Geschäftspraktiken hinter ihren Wertschöpfungsketten grundlegend anpassen. Der Ansatz erkennt an, dass alle – vom Produzenten über den Lieferanten bis zum Endverbraucher – für die ethischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen der Herstellung und des Konsums des Produktes verantwortlich sind. Durch die finanzielle Abhängigkeit aller Akteure von deren erfolgreichen Geschäftsbeziehung entsteht auch untereinander ein Abhängigkeitsverhältnis, aus dem eine gegenseitige Verantwortung füreinander, sowie für die Umwelt und die Biodiversität abgeleitet werden kann. Im Rahmen der gemeinsamen Verantwortung werden die Risiken, die mit der Produktion einhergehen, untereinander aufgeteilt, um die Widerstandsfähigkeit jedes Akteurs und der gesamten Wertschöpfungskette zu erhöhen

Relevanz für entwaldungsfreie Lieferketten

Investitionen in Resilienz, Transparenz und faire Geschäftsbedingungen mindern Risiken und sichern Wettbewerbsfähigkeit.

  • Erfüllung gesetzlicher Anforderungen: Regulierungen wie die EU-Entwaldungsverordnung verlangen einen Nachweis für entwaldungsfreie und legale Produktion und schränken den Marktzugang ein. Unternehmen können durch die Zusammenarbeit mit ihren Produzent*innen die Konformität mit den Umwelt- und Sorgfaltspflichten gewährleisten und dabei rechtliche und operative Risiken sowie Reputationsrisiken reduzieren.
  • Sicherung der Lebensgrundlagen von Kleinproduzent*innen: Produzent*innen kleinbäuerlicher Landwirtschaft produzieren einen Großteil der EUDR-relevanten Rohstoffe (z.B. 70% des Kakaos, fast 95% des Kaffees). Ohne Unterstützung bei der Anpassung an die EUDR verlieren viele von ihnen den EU-Marktzugang, oder produzieren defizitär. Dies birgt das Risiko, Entwaldung und Waldschädigung lediglich in andere Märkte zu verlagern und steht im Widerspruch zum Agenda 2030-Prinzip, "Leave no one behind“. Geteilte Verantwortung stellt sicher, dass Produzent*innen – die den Kern der Agrarproduktion bilden – ihre Existenz langfristig mit ihrer Produktion sichern können.
  • Vorteile für Unternehmen: Die Integration sozialer und ökologischer Verantwortung in Geschäftsmodelle schafft greifbare Vorteile:
    • Resiliente Lieferketten: Investitionen in Ko-Verantwortung in Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit fördern die Anpassung an klimatische Veränderungen und Extremwetterereignisse und sichern so die zuverlässige Versorgung.
    • Verlässliche Lieferantenbeziehungen: Investitionen in Ko-Verantwortung und faire Preise schaffen Vertrauen und erhöhen die Loyalität. 
    • Markenwert und Differenzierung: Authentische Kommunikation von Ko-Verantwortungsbemühungen stärkt die Reputation und das Vertrauen der Verbraucher*innen, insbesondere in Märkten, die zunehmend Authentizität, Rückverfolgbarkeit und soziale Wirkung schätzen.
    • Zugang zu Finanzierung: Stabilität bei Einkommen, Biodiversität und nachhaltigen Praktiken reduziert Störungen, vermeidet langfristige Kosten und verbessert den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten.

So setzen Unternehmen Geteilte Verantwortung unter der EUDR um

Unternehmen der nachgelagerten Lieferkette sind zentral bei der erfolgreichen Umsetzung der Geteilten Verantwortung in der Erfüllung der EUDR-Anforderungen:

  • Finanzielle Unterstützung und Risikoteilung: Die finanzielle Last darf nicht allein bei den Produzent*innen liegen. Unternehmen sollten Kosten für Geolokalisierung und entwaldungsfreie Produktion anteilig tragen, bspw. durch eine angemessene Prämie für mitgelieferte Daten. 
  • Technologiebereitstellung und Kapazitätsaufbau: Durch die Ausstattung der Produzent*innen mit der notwendigen Technologie und Schulungen zu deren Anwendung und zur Umsetzung der EUDR in Produktions- und Verarbeitungsprozessen sichern Unternehmen die Compliance ihrer Lieferkette. 
  • Langfristige Beziehungen und existenzsichernder Einkommen: Durch langfristige Verträge mit Abnahmegarantien und existenzsicheren Mindestpreisen schaffen Unternehmen Stabilität und Planungssicherheit für Produzent*innen.
  • Institutionelle Unterstützung: Indem Unternehmen die organisatorische Entwicklung von Kooperativen fördern, kreieren sie resilientere Organisationsstrukturen, die die Zusammenarbeit vereinfachen und professionalisieren.

So erfüllen Unternehmen nicht nur gesetzliche Vorgaben, sondern stärken Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsschutz und erhöhen die Resilienz ihrer Lieferketten.

DigiDeFree - Umsetzungsbeispiel für Produkte von Kleinproduzent*innen

Wie digitale Lösungen mexikanischen Kleinproduzent*innen den Zugang zum europäischen Markt erhalten.

Die EU-Entwaldungsverordnung stellt nicht nur europäische Marktteilnehmer und große Importeure vor Herausforderungen – auch Kleinproduzent*innen weltweit sind stark von ihren Auswirkungen betroffen. Viele verfügen weder über langfristige Vertragsbeziehungen zu Kund*innen noch über die Kapazitäten, die geforderten Nachweise selbst zu erbringen. Oft arbeiten sie direkt mit Röstereien in Europa zusammen, die die Datenerfassung bislang nur teilweise übernehmen und aufgrund von Ressourcenbeschränkungen künftig möglicherweise auf den Einkauf über den Großhandel ausweichen. Damit droht den Kleinproduzent*innen und den Kooperativen, in denen sie organisiert sind, der Verlust des Zugangs zum europäischen Markt.

Problematisch ist außerdem, dass bei der Entwicklung vieler digitaler Lösungen nur die westliche Perspektive einbezogen wird: Die Lösungen sammeln Daten und organisieren deren Übermittlung an europäische Kund*innen, machen die Daten aber nur selten für die Produzent*innen nutzbar. Dies trägt nicht zum nachhaltigen Aufbau institutioneller Strukturen und Strukturen zum Datenmanagement bei den Kooperativen bei, fördert Abhängigkeiten und hinterlässt nach dem Ende einer Zusammenarbeit mit bisherigen Abnehmern Lücken – sowohl im technischen Umgang als auch im Wissenstransfer.

Das Projekt DigiDeFree setzt genau hier an: Es entwickelt und implementiert gemeinsam mit und für Kooperativen eine digitale Lösung, die speziell auf deren Bedarfe zugeschnitten ist. Das Projekt DigiDeFree setzt vor allem auf Co-Design: Gemeinsam mit Kleinproduzent*innen, Kooperativen, Vermarktern, sowie Expert*innen aus Privatsektor und Zivilgesellschaft wird eine digitale Lösung entwickelt: Das EUDR-Modul in einem bereits bestehenden Datenmanagementtool für Kaffee- und Kakaokooperativen: Sirio. Das EUDR-Modul besteht aus einer Web-Konsole und einer mobilen App. Mithilfe der App können Kooperativen die von Abnehmer*innen im Rahmen der EUDR geforderten Daten selbst erheben. Diese lassen sich in der Web-Konsole auf Entwaldungs- und Legalitätsrisiken prüfen. Das Entwaldungsrisiko wird dabei mithilfe einer Schnittstelle zu WHISP geprüft, einer von der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) entwickelten Anwendung. Dies hat mehrere Vorteile:

  1. Datenhoheit: Kooperativen behalten die Kontrolle über ihre eigenen Daten. Dies ist Direktverkauf oder bei kleineren Handelsmengen äußerst relevant, da sie ihre Daten so für weitere Abnehmer*innen, Zertifizierung und zusätzliche Zwecke verwenden können.
  2. Risikoeinschätzung: Durch die Möglichkeit zur Selbsteinschätzung von Entwaldungs- und Legalitätsrisiken können frühzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden – Risiken werden an der Wurzel reduziert.

Neben der technischen Entwicklung legt DigiDeFree großen Wert auf den Aufbau von Wissen rund um die EUDR im Produktionsland

Dazu bietet das Projekt praxisnahe Unterstützung und Kapazitätsaufbau für Institutionen und Kooperativen an. Innerhalb der Kooperativen werden insbesondere für junge Erwachsene und Frauen, die als Berater*innen von Kooperativen saisonal eingestellt werden, adressiert. Durch deren Weiterbildung bleibt die Kompetenz im Umgang mit der EUDR langfristig vor Ort verankert. Dies stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und bildet die Grundlage für das Erfüllen der Zugangsvoraussetzungen für den Europäischen Markt. Ein Schulungs- und Kurzausbildungsprogramm vermittelt jungen Menschen in der Kaffee- und Kakaobranche:

  1. den sicheren Umgang mit digitalen Tools und Datenmanagement,
  2. detaillierte Kenntnisse zu den rechtlichen Anforderungen der EUDR,
  3. sowie deren Auswirkungen auf Produktion und Verarbeitung.

Darüber hinaus betont DigiDeFree die gemeinsame Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette. Im Projekt wird ein Shared-Responsibility-Konzept entwickelt, das Guidance für eine verantwortungsvolle und holistische Einhaltung europäischer Gesetze und Sorgfaltspflichten schafft.

Damit wird sichergestellt, dass:

  1. alle Akteure entlang der Lieferkette – von Produzent*innen bis zu europäischen Importeuren – Verantwortung übernehmen,
  2. die digitale Lösung funktionsfähig bleibt und verbreitet wird,
  3. und die Umsetzungsrisiken sowie die finanziellen Lasten nicht allein von kleinbäuerlichen Produzent*innen getragen werden.

Auf diesen drei Kernpfeilern trägt DigiDeFree dazu bei, Kleinproduzent*innen in Produktionsländern aktiv in die Umsetzung der EUDR einzubeziehen. Sie gewinnen Kapazitäten, Flexibilität und eine Entscheidungsbasis, indem sie Daten selbst erheben und ihre eigenen Risiken einschätzen können. Diesen „Mehrwert“ können sie an ihre Käufer*innen weitergeben, die im Rahmen geteilter Verantwortung die zusätzlichen Belastungen der EUDR entsprechend kompensieren. Gleichzeitig erwerben die Produzent*innen das notwendige Wissen, ihre Produktion und Verarbeitungsprozesse auf das Gesetz anzupassen – und sichern sich so langfristig ihren Platz in entwaldungsfreien Lieferketten.

  • Laufzeit: 10/2024 bis 10/2027
  • Projektland: Mexiko
  • Produkte: Kaffee und Kakao
  • Projektpartner:
    • OroVerde – Die Tropenwaldstiftung: Eine deutsche Umweltschutzorganisation, die sich aktiv für den Schutz tropischer Regenwälder und der biologischen Vielfalt einsetzt. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen Klima- und Ressourcenschutz, nachhaltiges Wirtschaften sowie Umweltberatung und Politik. (gerne anpassen)
    • Plataforma Nuup, A.C.: Eine mexikanische Organisation, die nachhaltige landwirtschaftliche Modelle entwickelt, digitale Lösungen für Datenmanagement bereitstellt und Kooperativen digital vernetzt, um Produktionspraktiken zu verbessern und stabile Handelspartnerschaften aufzubauen.
    • ProNatura Sur: Setzt sich für den Erhalt der Biodiversität und die Wiederherstellung von Ökosystemen in Südmexiko ein. Die Organisation fördert nachhaltiges Ressourcenmanagement, arbeitet eng mit lokalen Gemeinschaften zusammen und engagiert sich in der Umweltbildung